Couchplausch im Kraftwerk

Nach einer grandiosen Vorstellung von Sondheims Musical Follies begrüßte die Staatsoperette Dresden das Publikum zur zweiten Runde Late Night Mitte. In diesem neuen, viermal im Jahr stattfindenden Talkshowformat bekommen alle Interessierten zu späterer Stund Hinterbühneneindrücke aus erster Hand geboten.

Das Kranfoyer ist dank seines inzwischen stimmungsvoll gestalteten Raumkonzepts wie geschaffen für eine solche Veranstaltung. Kleine Stehlämpchen im Publikumsbereich sorgen für eine gemütliche Beleuchtung, der Freigetränkecoupon an der Eintrittskarte kann an einer kleinen Bar eingelöst werden und auf dem Podest sorgt der Regieassistent Toni Friedrich für eine sympatische Moderation. Die Atmosphäre erinnert an die eines literarisch-musikalischen Salons des 20. Jahrhunderts.

Von links nach rechts: Förderforummitglied Rolf Werner, Sängerin Bettina Weichert, Beleuchter Ronald Krieger, Moderator Toni Friedrich und Pianist Robin Portune (Foto: Siegfried Michael Wagner)

Dass es sich bei dem urigen grünen Sofa um ein besonderes Leubener Originalstück handelt, stellte sich im Gespräch mit Beleuchter Ronald Krieger heraus: Auf der Couch habe er 1977 seinen ersten Vertrag unterschrieben. Zwei Minuten hätte das Gespräch beim ökonomischen Direktor gedauert, der ihm mitteilte, dass er ja nicht zu oft krank sein solle. Seiner ersten Eingebung: „Schnell weg hier“ zum Trotz, arbeitet er nun seit 43 Jahren an der Staatsoperette Dresden. Und nicht nur das: „Ich komme jeden Tag gern auf Arbeit“, schwärmt er.

Dabei stand er zu Beginn noch selbst im Leubener Rampenlicht – als Solotänzer. Nachdem er durch eine Jugendliebe zum Tanzen gekommen ist, hat er die Ausbildung an der Dresdner Palucca-Schule aufgenommen. 1996 musste der Leipziger seine Bühnenkarrriere aus gesundheitlichen Gründen aber beenden. Trotzdem ist er der Staatsoperette treu geblieben und hat ohne jegliche Vorkenntnisse zur Beleuchtung gewechselt. Heute rückt er mit Freude die Beteiligten auf der Bühne ins rechte Licht.

Dazu gehört auch Mezzosopranistin Bettina Weichert, die an diesem Abend als Erste auf dem Sofa Platz nehmen und mit Eierlikör (diesmal aus Zeitmangel nicht von Toni selbstgemacht) anstoßen durfte.

Begleitet durch ein Video ihrer Version von „Wein nicht um mich, Argentinien“ der DDR-Erstaufführung von Webbers Musical Evita, erinnerte sie sich an die Anfänge ihrer Karriere. 1986 startete sie nach einem vorangegangenen Engagement an der Oper Chemnitz mit dieser Rolle in Dresden so richtig durch. Hätte es mit der Musik nicht geklappt, wäre ihr Plan B in die mathematisch-physikalische Richtung gegangen. Dennoch integriert sie ihre Affinität zur Algebra auch in den Berufsalltag auf der Bühne: „Heute zähle ich Achtel und Couplets.“
Ob das eines ihrer Erfolgsgeheimnisse ist? Feststeht: Bettina Weichert kann auf vielfältige Rollen als Gästin in der ganzen Republik zurückblicken. So war sie z.B. in der Stuttgarter Produktion von Mamma Mia von 2004 bis 2006 als Donna, Tanja und Rosie zu erleben. Dass sie diese Songs noch bestens beherrscht, bewies sie mit ihrer gefühlvoll melancholischen Darbietung der deutschen Fassung von „Slipping through my fingers“. Anschließend luden sie und Talkmaster Toni die Zuschauenden zum gemeinsamen „Thank you for the music“ ein. Mit Bravur wurden die beiden von Robin Portune am Klavier begleitet.
Trotz ihres großen Erfolgs wirkte die Sängerin sehr natürlich. Außerdem gab sie spannende Hintergrundinformationen zu ihrer Zusammenarbeit mit Regisseur Martin G. Berger für die Inszenierung von Follies. Dabei ging es um die Übersetzung des Liedes „I’m still here“, wo sie in der Rolle des ehemaligen Revuegirls Carlotta mit ihrem Umfeld abrechnet. Diese Inszenierung in einer eigens von Martin G. Berger angefertigten Übersetzung arbeitet mit starken DDR-Bezügen. Um Inspirationen für den Text der oben genannten Nummer (auf Deutsch: „Bin noch hier“)zu bekommen, fragte er sie nach ihrer Sicht auf die damalige Zeit. In diesem Zusammenhang berichtete Bettina Weichert auch, dass sie während der Demonstrationen auf der Prager Straße auf der Bühne stand und Küchenlieder sang – „völlig grotesk.“, wie sie selbst sagte.

Auch in der Dreigroschenoper steht Bettina Weichert als Spelunken-Jenny gemeinsam mit Marcus Günzel als Macheath auf der Bühne. Den Stoff für das Kleid hätte man ihrer Meinung nach aber lieber für schicke Handtaschen verwenden sollen. (Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert)

Rolf Werner hatte als Mitglied des Förderforums der Staatsoperette die Ehre, als Überraschungsgast auf dem Canapé Platz zu nehmen. Im Gespräch betonte er vor allem die vielversprechende Zukunft des Hauses, die nur dank des Engagements der Angestellten und der Dresdner ermöglicht werden konnte.

Zwischendurch bekam man immer wieder die Möglichkeit, den Sofa-Gästen Fragen zu stellen, etwa nach dem peinlichsten Bühnenmoment. Leider lag zwar nicht auf jedem Tisch ein Bierdeckel, auf den man eine Frage hätte notieren können, dennoch war aber ein hoher Unterhaltungswert für alle garantiert. Im Publikum befanden sich auch diverse Ensemblemitglieder, die den Couchgästen mit zum Teil scherzhaft-provokanten auf den Zahn fühlten.

Nicht zuletzt sorgte das Tango-Trio, bestehend aus Marjana Winkler, Marco-Antonio Arrigada Chacón und Simon Lessing, für eine kurzweilig vielfältige Late Night.

Foto: Siegfried Michael Wagner

Die nächsten Termine für die Late Night: So, 19.04.2020 & Fr, 05.06.2020
Weitere Infos & Karten (erst ab ein paar Wochen im Voraus) unter:
https://www.staatsoperette.de/spielplan/a-z/late-night-mitte/508/

Noch mehr Informationen zu Follies gibt es in meinem Interview mit dem Sänger Christian Grygas
und unter: https://www.staatsoperette.de/spielplan/a-z/follies/