Zug verpasst? Ran ans Klavier!

Als sich Max Hobinka aus Stuttgart und Benedict Englisch (kurz: Bene) aus München vor knapp zwei Jahren zum ersten Mal bei einer WG-Party in Dresden getroffen haben, waren sie sofort auf einer Wellenlänge. Danach haben sie sich öfter zum Skaten verabredet und bald festgestellt, dass sie noch ein weiteres Hobby teilen: das Klavierspielen. Grundschullehramts- und Philosophie-Student Max besitzt kein eigenes Klavier (aber schon ganz bald). Bene, der Wirtschaftsingenieurwesen an der TU studiert, hat hingegen bereits eins bei sich zu Hause stehen. So hat es sich ergeben, dass die beiden sich auch zum gemeinsamen Musizieren getroffen haben.
Dieses Jahr haben sie nun das Projekt „Klangraum. Raum. Musik. Kunst.“ gestartet. Dabei wollen sie künstlerisch gestaltete Klaviere im öffentlichen Raum Dresdens aufstellen. Die Instrumente werden von lokalen Künstler:innen in Szene gesetzt und sollen uns von Mitte Juli bis Mitte August am Hauptbahnhof und am Bahnhof Neustadt zum freien Spielen zur Verfügung stehen. Für mich war das Grund genug, mit den beiden über ihr Projekt zu sprechen.

Als ihr gemeinsam am Klavier saßt, dachtet ihr euch: „Mensch, wir würden gern mal am Bahnhof spielen!“ Oder wie kamt ihr zu der Idee, öffentlich zugängliche Klaviere in Dresden aufzustellen?

Bene:
Ich kenne das noch aus München und Umgebung. Dort gibt es das auch einmal im Jahr für zwei Wochen. Wir haben festgestellt, dass wir das auch gern mal in Dresden machen würden. Dieses Jahr ist doch eine gute Gelegenheit, um das auszuprobieren.

Max:
Vor allem haben wir auch gemerkt, dass wir selber aktuell gar keine Möglichkeit mehr haben, kulturelle Veranstaltungen wahrzunehmen. Klar habe ich auch digital Livestreams gesehen, aber es ist eben nicht das Gleiche.

Ja, nicht umsonst hat Pianist Igor Levit neulich verkündet, dass er der Streams müde ist.

Max:
Ja, man braucht einen Raum, eine Aura von einem Ort. Und in unserem Fall kann man fragen: Was eignet sich besser als ein großer Raum, wo sich Menschen begegnen können? Wo Menschen gemeinsam Musik machen können?

Euch geht es also auch darum, Berührungsängste abzubauen?

Max:
Genau, die Leute sollen die Möglichkeit haben, einen Zugang zu Instrumenten zu bekommen. Es ist auch musikalische Bildung, wenn so ein Klavier irgendwo rumsteht. Vielleicht ist es für manche Leute sogar ein Anreiz, Klavierspielen zu lernen. Unser Projekt soll inklusiv sein und zum Gestalten anregen.

Bene:
Gerade beim Klavierspielen setzt man sich nochmal ganz anders mit den Stücken auseinander. Die ganzen Kleinigkeiten, die Komponisten oft in ihren Stücken verstecken, hört man ja oft nicht raus. Für das Klavier spricht naütlich auch, dass es sich mit Blasinstrumenten zu Corona-Zeiten etwas schwierig gestalten würde. Man könnte ja auch ein paar Querflöten im Hauptbahnhof auslegen und schauen, was passiert. – Lacht..

Auf eurer Webseite liest man, dass ihr die Klaviere als „Geschenk großzügiger Unterstützer“ bekommen habt. Wie kam es dazu?

Bene:
Mit der Planung haben wir Anfang März angefangen: Wir haben Klavierbauer und Klavierhäuser angerufen und haben mal nachgefragt, ob die noch Klaviere für uns haben. Das Meißner Klavierhaus Trobisch meinte, dass sie noch Klaviere haben, die sie uns spenden würden. Sie waren sofort dabei und haben uns ältere Klaviere gegeben, die sie für keinen Mehrwert mehr verkaufen können. Eine Aufbereitung würde sich da nicht mehr lohnen.

Aktuell habt ihr ja 2 Klaviere, richtig?

Max:
Genau, aber beeindruckend ist, dass wir noch viel mehr Klaviere haben könnten. Das Klavierhaus Trobisch ist sehr kooperationsfreundlich und hätte auch noch ein drittes Klavier für uns. Wir haben auch noch andere Klavierhäuser angeschrieben, die gesagt haben: „Hätten wir das gewusst, hätten wir das Klavier nicht zerlegt, sondern für euch nochmal aufbereitet.“ Klavierhäuser haben oft einen Überschuss an alten Klavieren, die hier in Deutschland nicht mehr zum entsprechenden Preis verkauft werden können. Uns wurde erzählt, dass sie manchmal auch nach Taiwan verschickt werden. Dort verkauft man sie für 100€ und dann werden sie komplett restauriert. Es bleibt eigentlich nur noch die Hülle, aber es steht eben made in Germany drauf.
Die Klavierhäuser, die das nicht machen wollen, bleiben auf diesen alten Klavieren sitzen.

Die Klavierbeschaffung ist also nicht das Problem. Aber wie ist das mit Genehmigungen für das Aufstellen?

Max:
Erstmal haben wir überlegt, wo wir die überhaupt hinstellen können: Die Orte dürfen nicht zu bebaut sein, wo es Schwierigkeiten mit einer Lärmbelästigung für die Nachbarschaft geben könnte. Eigentlich wollten wir mit mehr Klavieren starten, aber aus Zeitgründen haben wir uns auf zwei Orte beschränkt, die relativ gut frequentiert sind: Der Hauptbahnhof und der Bahnhof Neustadt. Das Glück bei diesen beiden Standorten ist, dass sie nicht der Stadt gehören, sondern der Deutschen Bahn. Natürlich haben wir trotzdem ein Hygienekonzept, aber wir mussten nicht die ganzen Ämter um eine Erlaubnis bitten.

Bene:
Man muss zum Beispiel auch zum Straßenbauamt, weil die bescheinigen müssen, dass das Klavier verkehrstauglich ist, wenn man es irgendwo hinstellt.
Und was das Hygienekonzept angeht: Wir wollen die Klaviere auf kleine Podeste stellen. Die sollen jeweils einen Durchmesser von 3,5 Metern haben. Es soll sich immer nur eine Person auf dem Podest befinden, damit automatisch der Abstand gewahrt wird. Wir wollen auch Infektionsmittel an die Klaviere stellen und einen Zettel anbringen, wo mit roter Schrift steht: Vor und nach dem Musizieren bitte desinfizieren! Und dann hoffen wir einfach, dass sich die Leute auch daran halten.

Max:
Wir haben aber auch total Lust – und das ist so ein bisschen der Ausblick für das nächste Jahr – dass unsere Aktion noch näher an den Menschen ist. Dass die Klaviere an Orten stehen, die den Dresdnern gehören. Zum Beispiel am Martin-Luther-Platz, wo nicht so eine starke Fluktuation stattfindet. An der Elbe wäre es natürlich auch ganz schön. Dann kommen wir an den vielen Ämtern aber wahrscheinlich nicht vorbei.

Woher kam die Idee, die Klaviere künstlerisch zu gestalten?

Bene:
Wir haben uns ja auch darüber schlau gemacht, wo es solche Projekte schon in anderen Städten gibt. Vor allem die Leute aus Augsburg, Trier und München waren sehr hilfsbereit.

Max:
Die machen das genau gleich. Dahinter steckt nämlich ein Künstler aus England: Luke Jerram. Er hat die Bewegung mit den verzierten Klavieren ins Leben gerufen. Es ist eine gute Möglichkeit Musik und Kunst zu vereinen. Deshalb sind wir gerade auf der Suche nach Künstler:innen oder Kollektiven, die das gestalten. Wir wollen ihnen eine Leinwand, eine Bühne und einen Raum geben.

Bene:
Genau, gerade weil dieses und letztes Jahr für die Künstler:innen so viel weggebrochen ist.

Denkt ihr, es wird schwierig, sich auf ein bzw. zwei Designs zu einigen? Habt ihr schon bestimmte Entscheidungskriterien?

Max:
Das Problem oder vielleicht auch der Vorteil ist, dass wir das zum ersten Mal machen und noch gar nicht wissen, wie viel überhaupt kommt. Wir haben auch verschiedene Kollektive bzw. Künstler:innen direkt angeschrieben. Die Ausschreibung läuft bis zum 20. Mai. Am 23. Mai werden wir dann bekanntgeben, welche Künstler:innen wir ausgewählt haben.
Ein Kriterium ist, dass die Klaviere immer noch transportfähig sein müssen. Externe Gegenstände sind schwer zu transportieren. Die Klaviere können bemalt werden und am Einsatzort können noch Gegenstände hinzugefügt werden.
Das andere Kriterium ist, wie es zum Ort passt. Beim Hauptbahnhof, der von vielen Menschen, einem diverserem Publikum besucht wird, wäre vielleicht ein eingängigeres Kunstwerk besser. Am Neustädter Bahnhof wäre es ganz gut, wenn es etwas ist, dass den Menschen aus der Neustadt einen Kontakt gibt. Dass es auch die Künstler:innen widerspiegelt, die in der Neustadt leben.

Bene:
Auch wichtig ist, dass die Deckel frei bleiben, weil sonst die Klaviere nicht mehr gestimmt werden können. Wir sollten sie schon einmal die Woche stimmen lassen. Ansonsten klingt das ja nicht mehr gut. Das wollen wir auch nicht.

Soll es eine Einweihungsfeier geben oder stellt ihr euch einfach in eine Ecke vom Bahnhof und beobachtet, was passiert?

Max:
Ich finde das einen richtig spannenden Punkt! Ich stelle es mir interessant vor, das Klavier einfach im Hauptbahnhof aufzustellen und zu schauen, was passiert. Ich glaube, das können wir gut auch im Bahnhof Neustadt machen: Dass morgens plötzlich das Klavier dasteht und die Leute überrascht sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dann auch einige Leute dahin gehen und spielen würden. Es würde auf jeden Fall erstmal für Verwirrung sorgen. Vielleicht gibt es aber auch eine kleine Einweihungsfeier. Es kommt darauf an, wie das mit dem Infektionsgeschehen ist. Wir wollen da keinen Raum bieten, wo wir nicht mit d’accord sind. Ich kann mir auch vorstellen, dass solche Räume missbraucht werden.

Bene:
Wir haben uns noch überlegt, dass es sich anbietet, Pianist:innen bzw. Musiker:innen zum Spielen einzuladen. Wir haben schon die Hochschule für Musik angeschrieben und gefragt, ob Studierende dazu Lust haben. Vielleicht könnte man zur Eröffnung auch ein:e Pianist:in oder eine Jazz-Gruppe spielen zu lassen. Da suchen wir gerade auch noch Menschen, die sich das vorstellen können und auch ohne Vergütung spielen. Es wäre cool, wenn sich da Leute finden könnten, dass wir auch die Vielfalt an verschiedenen Niveaus zeigen können.

Ihr beiden könnt ja dann auch mal etwas spielen!

Bene und Max gleichzeitig:
Das auf jeden Fall. / Das machen wir.

Bene:
Wir können ja auch etwas vierhändig einstudieren!

Welche organisatorischen Schritte stehen außer eurem musikalischen Beitrag und der Entscheidung für zwei Klavierdesigns aktuell noch auf eurer Agenda?

Max:
Wir suchen gerade noch Klavierpat:innen, die morgens die Klaviere aufschließen und sie abends abschließen. Zum einen sollen sich die Leute, die am Bahnhof arbeiten oder wohnen nachts nicht gestört. Zum anderen ist auch Vandalismus ein Thema. Wir selbst können ja nicht jede Nacht zum Bahnhof fahren.

Bene:
Man braucht auch für jedes Klavier pro Tag eine Ansprechperson, die darauf achtet, dass genügend Desinfektionsmittel da ist. Je mehr Leute sich dazu bereit erklären, desto flexibler könnte man das gestalten.
Außerdem arbeiten wir noch an unserer Crowdfunding-Webseite, da wir den Künstler:innen die Materialkosten über Spenden erstatten wollen. Auch die Transporte durch das Meißner Klavierhaus Müller möchten wir damit finanzieren.

Max:
Gerade bei den Transporten kommt da einiges zusammen: Vom Klavierhaus zu den Künstler:innen und dann zum Bahnhof. So ein Klavier lässt sich nicht soo leicht tragen…

Bene:
Ja, das haben wir selber schon festgestellt.

Max:
Da dachten wir, wir könnten das alleine machen. Aber da ist uns das Klavier an manchen Stellen ein bisschen kaputt gegangen.

Bene:
Da braucht man auf jeden Fall professionelle Menschen, die das transportieren.

Damit Bene und Max die Klaviere zu den Bahnhöfen bringen können, ohne sie dabei zu demolieren oder sich die Zehen zu brechen, würden sie sich über eure Unterstützung freuen. Außerdem könnt ihr so einen Beitrag zu etwas leisten, von dem wir im Sommer alle etwas haben werden – egal ob zuhörend oder musizierend.

Unter den folgenden Links geht es zur Webseite und zum Crowdfunding für das Projekt.

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