Spannende Konzerte, große Anfragen und Auftritte bei Festivals hat sich Chorleiter Michael Blessing letztes Jahr noch für seinen Jazzchor gewünscht.
Entsprechend groß muss die Enttäuschung über die Absage des Deutschen Chorfestes in Leipzig und anderer Konzerte nach monatelanger Hinarbeit gewesen sein.
Gleichermaßen von den aktuell geltenden Corona-Beschränkungen betroffen sind die Proben, die noch so viel mehr sind, als „nur“ musikalische Qualitätssicherung. Schließlich entwickelt sich der soziale Zusammenhalt eines Chors gerade aus dem regelmäßigen gemeinsamen Musizieren und ist mindestens genauso wichtig wie das Singen selbst.
Der Jazzchor Dresden lässt sich aber nicht so schnell unterkriegen und probt inzwischen via Onlineübertragung.
„Sich über Wochen nicht zu sehen und auch musikalisch nicht weiterzukommen, ist keine Option gewesen.“, meint Michael. Nach einem Krisenmeeting des Leitungsteams sei er auf die Software Zoom gestoßen, die an dänischen Musikhochschulen bereits etabliert ist. Im Gegensatz zu anderen Video-Live-Chat-Anbietern ermöglicht das Programm diverse Sound- und Video-Einstellungen, die das gemeinsame Arbeiten erheblich verbessern.
Wie so eine Onlinechor-Probe wirklich abläuft, konnte ich mir noch nicht so richtig vorstellen. Als Gästin zur zweiten Probe dieser Art durfte ich mir nun aber selbst ein Bild davon machen.
Montag, kurz vor 19:00 Uhr. Rund 40 Mitglieder haben sich über den Einladungslink eingewählt, begrüßen sich winkend, machen Späße über die Hintergrundgestaltung und die Katze, die hin und wieder durch das Bild läuft.
„Wir haben ja eine höhere Probenanwesenheit, als live!“, stellt Michael zum Beginn der Probe schmunzelnd fest.
Bevor musikalisch gestartet werden kann, nimmt der Chorleiter noch eine kurze Einweisung in die Funktionen der Software vor. Dazu kann er die Teilnehmenden per Mausklick stummschalten. – Der Traum eines*r jeden Chorleiters*in wird wahr. Wenn man während der Konferenz aber doch etwas mitzuteilen hat, kann man das Mikrofon aktivieren, indem man die Leertaste gedrückt hält und gleichzeitig spricht.
Anschließend werden die Stimmen von „O come all ye faithful“ einstudiert. Ja, der Jazzchor widmet sich aktuell seinem Weihnachtsrepertoire, um im Herbst Zeit für Ersatzkonzerte zu haben. Sobald die Mitglieder wieder im Probenraum zusammenkommen können, werden sie am aktuellen Repertoire weiterproben. Es gibt bereits einen Plan bis 2022. „Da feiern wir unser 10-jähriges Bestehen und haben uns dafür Großes vorgenommen.“, verraten sie mir. Zunächst gilt es aber, die Zeit trotz der Umstände bestmöglich zu nutzen.
Beim Einüben der Melodien kommt ein weiteres Feature zum Einsatz: Michael kann seinen Bildschirm bzw. die Partitur des Stückes mit den anderen Teilnehmenden teilen. Dadurch kann er während der Probe mal eben einen Doppelstrich ergänzen, ohne dass bei den Chormitgliedern die verzweifelte Suche nach einem Bleistift beginnt.
Aber kann man nun zu vierzigst per Online-Übertragung gemeinsam singen? – Das wäre durch die Verzögerung der Übertragung eher schwierig. Deshalb bleiben alle Mitglieder stumm geschalten und singen mit der Klavierstimme allein für sich zu Hause mit.
In der zweiten Hälfte der Probe wird mit einer Solmisations-Übung das musikalische Gehör geschult. Alle Mitglieder singen die Tonleiter auf- und abwärts und führen die entsprechenden Handbewegungen gemeinsam vor ihren Bildschirmen aus. Anschließend teilt Michael die Mitglieder in Gruppen für Break-out-rooms auf. So können die Stimmgruppen getrennt voneinander in einzelnen Chats proben, der Chorleiter kann sich jeweils zuschalten. Nach dem Sol-Fa-Prinzip kann sich nun jedes Mitglied einmal selbst ausprobieren und eine eigene Melodie entwickeln, während die anderen folgen.
Zurück im Plenum schaltet sich Michael selbst stumm und beginnt zu singen. Durch seine Handbewegungen erkennt der Chor schnell, welches Lied er zu Hause zum Besten gibt: Bruder Jakob.
In anderen Proben widme sich der Jazzchor der Auswertung von Mitschnitten vergangener Konzerte und dem Besprechen der Song-Gestaltung und auch Einzelstimmbildung sei Bestandteil des Probenplans, erfahre ich.
Am Ende klingt die Probe entspannt aus, es wird noch Organisatorisches zum Jubiläumsprogrammtitel 2022 besprochen und mit einem Bier in der Hand über die jüngsten Geschehnisse gequatscht.

Natürlich lebt ein Chor eigentlich davon, gemeinsam zu singen und sich gegenseitig zu hören. Umso bemerkenswerter ist es, wie alle Beteiligten aus dieser Chor(ona)-Probe das Beste herausholen.
Das Einzige, das ich vermisst habe, sind die vom Jazzchor eingeführten und geliebten Dance-Breaks. Auf meine Nachfrage antwortet man mir: „Haben wir bisher noch nicht gemacht, aber danke für die witzige Idee. Wenn die Leute sich dann an das Singen vor der Kamera gewöhnt haben, können wir an das Tanzen gehen.“
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