„So duftet es nie und nirgendwo, nur Weihnachtsluft, die duftet so!“, singe ich inbrünstig mit, während ich voller Vorfreude den Teig ausrolle und zu den Ausstechförmchen greife. Wenn die Nachbarschaft also nicht riecht, dass ich Plätzchen backe, dann hört sie es. Aber die Lieder von Reinhardt Lakomys und Monika Ehrhardts 1997 erschienener CD „Josefine, die Weihnachtsmaus“ gehören nun einmal einfach zur Adventszeit dazu – und das seit ich denken kann. Die Geschichte um die arme Maus Josefine, die die Himmelsleiter empor klettert, um für ihre Mausefamilie Geschenke für ein schönes Weihnachtsfest zu besorgen und sich zum Diebstahl gezwungen sieht, ist auch für erwachsene Zuhörer*innen tiefgründig genug.
Allerdings gibt es da eine Frage, die ich mir schon seit mehreren Jahren gestellt habe: Was ist aus Wolkenschaf Schummel und Sternenkind Schnuppe geworden? Oder vielmehr aus den Kindern, die sie damals gesprochen haben?
Nachdem ich meine Hände also vom Teig befreit habe, greife ich zum CD-Booklet und recherchiere die Namen Jakob und Anne Lehmann, was bei diesen „Allerweltsnamen“ nicht so einfach ist. Ich stoße auf die Webseite eines Musikers, vergleiche die Fotos mit dem Bild im CD-Heftchen und beschließe, ihn zu kontaktieren.
Letztlich hat sich diese spontane Suchaktion als Erfolg herausgestellt. Beim Musiker Jakob Lehmann handelt es sich tatsächlich um den kleinen Jungen vom Foto im Booklet und er bietet mir an, den Kontakt zu seiner Schwester herzustellen. Wir verabreden uns jeweils zu einem Telefonat, wo die beiden für mich ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Nun ist es an euch, (Weihnachts-)Mäuschen zu spielen, um mehr über die beiden und Hintergründe zur CD-Produktion zu erfahren.
Läuft die CD noch zu Weihnachten bei euch? – Das hatte ich ursprünglich als Abschlussfrage für das Gespräch angedacht. Als ich aber mit Anne gerade erst ins Gespräch komme, berichtet sie schon: „Ich habe die CD zur Weihnachtszeit der letzten Jahre immer gehört und dabei Plätzchen gebacken. Das ist einfach Kindheit pur!“ Jakob erklärt auf meine Frage hingegen, dass er selbst gar nicht auf die Idee komme, sich die CD anzuhören. „Aber wenn ich bei meinen Eltern bin, kommt es schon einmal im Jahr vor, dass wir das zusammen hören.“
Aber von vorn: Wie kam es dazu, dass Jakob und Anne bei den Hörspielen mitgemacht haben? Die Familie Lehmann hat in der Nachbarschaft vom Hause Lakomy, in Berlin Blankenburg, gewohnt. Der Kontakt kam durch Jörg Lehmann, den Vater von Anne und Jakob, zustande. Er war bzw. ist Posaunist und wollte eines Tages mit seinem Posaunen-Quintett eine CD aufnehmen. „Durch Zufall hat er gesehen, dass es in der Nachbarschaft ein Tonstudio von Reinhardt Lakomy gibt. Dort hat er einfach mal geklingelt, nachgefragt und dadurch Laky kennengelernt.“, erinnert sich Anne an die Erzählung ihres Vaters.
Aber auch an der Grundschule „Unter den Bäumen“, die Jakob und Anne besucht haben, waren die Namen Reinhardt Lakomy und Monika Ehrhardt präsent. Alljährlich wurde bzw. wird dort der Traumzauberbaum aufgeführt. Deshalb stammen bei der CD „Der Regenbogen“ (1995) viele Stimmen von Kindern dieser Grundschule, u.a. die der damals siebenjährigen Anne. „Das hat ziemlich gut funktioniert mit ihr. Dann hat sich die Familie angefreundet, auch weil sich Moni solche Mühe gegeben hat, den Kindern eine tolle Erfahrung zu ermöglichen.“, schildert Jakob.
Vor diesem Hintergrund wurde, als 1997 noch ein Junge für „Josefine, die Weihnachtsmaus“, gebraucht wurde, er gefragt.
Die Geschwister verbinden sehr viele positive Erinnerungen mit der Zeit der Aufnahmen und betonen die gelöste Atmosphäre. Alles sei sehr spielerisch gewesen und habe sich für die beiden nicht nach Arbeit angefühlt. Außerdem erzählt Jakob fast im gleichen Wortlaut seiner Schwester: „Das war ein unglaublich spannendes großes verwinkeltes Haus, wo man als Kind ständig Neues entdecken konnte. Und wir haben dort machen können, was wir wollten. Zu dieser Zeit war das wie ein zweites Zuhause.“ Damals war die gesamte untere Etage als Studio ausgebaut. In einem großen Raum befanden sich Lakomys Keyboards und nebenan eine kleine Tonbox, wo Jakob und Anne mit Kopfhörern auf Lakys Sprech-Kommando von der anderen Seite warteten. Vorher habe Monika Ehrhardt die Szene aber erklärt und jeweils vorgesprochen. Die Passagen wurden also ohne Ablesen live performt, um eine gewisse Spontanität zu bewahren.
Auf meine Frage nach witzigen Versprechern, erwidert Anne, dass dass es einige Stellen gab, die für Jakob damals schwer auszusprechen waren. Sie mussten darum mehrfach wiederholt werden. Laut Anne hört man zum Teil beim Endergebnis, dass er diese Wörter besonders überdeutlich ausspricht. Jakob kontert aber, dass dies auch Teil der Rolle gewesen sei. Schließlich gibt sich Schummel an verschiedenen Stellen als Besserwisser.
Trotzdem gesteht er: „Besonders schlimm war das bei den Liedern. Da hatte Laky schwer zu kämpfen, seine Geduld nicht zu verlieren. Bei den Kindern hat er sich immer mehr Mühe gegeben als bei den Erwachsenen. Das ist ihm hoch anzurechnen.“
Insgesamt hatten die Beiden während der etwa eine Woche andauernden Aufnahmen selten Kontakt zu den anderen Künstler*innen. Für die Lieder haben die Geschwister auf den bereits aufgenommenen Gesang der erwachsenen Mitwirkenden gesungen. Dennoch erinnert sich Jakob: „Wir mussten die Phantasiewelt, in die wir uns begeben haben, gar nicht verlassen, weil die Leute im echten Leben genauso waren, wie die Rollen die sie gespielt haben.“ Hinzu kommt, dass die CD tatsächlich zur Adventszeit aufgenommen wurde. Anne fühlt sich deshalb besonders emotional zu dieser CD verbunden: „Als sie fertig war, war es wirklich kurz vor Weihnachten und wir saßen zusammen in der gemütlichen Wohnküche, haben Plätzchen gegessen und sie uns angehört.“
Die Erfahrungen haben die beiden nicht nur auf persönlicher Ebene geprägt, sondern begleiten sie auch noch im Berufsleben.„Das Sprechen vor Publikum und in der Öffentlichkeit ist etwas, das mir bis heute nicht schwer fällt.“, erklärt Anne. Die Teilnahme an der Hörspielproduktion reiht sich in eine stark von Musik geprägte Kindheit und Jugend ein. Früh hat sie begonnen, im Gemeindechor zu singen und Klavier zu lernen. Später hat sie noch gelernt, Harfe zu spielen.
Ihr Abitur haben sowohl Anne als auch Jakob am Berliner Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Gymnasium, einem Musik-Gymnasium absolviert.
Letztlich hat Anne sich aber gegen ein Musikstudium entschieden und eine Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht. Später hat sie in Kiel Sozialpädagogik studiert und arbeitet heute als Jugend-Gerichtshilfe für Heranwachsende beim Jugendamt. Dabei betreut sie Menschen zwischen 18 und 21, die sich in einem Strafverfahren befinden und gibt einen pädagogischen Entscheidungsvorschlag, ob das Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommen sollte. Da kann es nicht schaden, den eigenen Standpunkt überzeugend darlegen zu können.
Jakob hat sich nach der Schule für ein Musikstudium an der Berliner Universität der Künste entschieden, denn inspiriert von seiner großen Schwester und dem großen Stellenwert von Musik in seiner Familie, hat auch er früh mit Klavier- und später mit Geigenunterricht genommen. Inzwischen ist er als freischaffender Geiger und Dirigent tätig und hat verschiedene internationale Verbindungen zu Festivals, Orchestern und Ensembles aufgebaut. Diese Kooperationen reichen von Belgien und Frankreich als Hauptpunkte Europas, über die USA, bis nach Australien – entsprechend viel sei er normalerweise unterwegs, erklärt er.
Die Teilnahme an den Hörspielen hat ihm die Gelegenheit geboten, die einzelnen Schritte einer CD-Produktion spielerisch zu verinnerlichen. Entsprechend vertraut war ihm der Prozess im späteren Berufsleben dann schon. Zudem gibt es für ihn – bei aller Verschiedenheit zwischen Aufnahmen klassischer Musik und Hörspielen – eine besonders zentrale Gemeinsamkeit: das Gefühl, dass die eben produzierte Passage womöglich als Endergebnis auf der CD oder im Stream landet.
Bis heute schätzt er das direkte Fedeback der Aufnahmeleitung, das es im Konzert nur indirekt durch den Applaus des Publikums gibt: „Diesen Dialog finde ich seit meiner Hörspielerfahrung immer wieder inspirierend: an sich selbst zu arbeiten und zusammen zu versuchen, ein bestmögliches Ergebnis zu kreieren.“
Foto: Frederik Ferschke – reportage-berlin.de.
Nach der Produktion haben die Geschwister 1999 an den Aufnanahmen für „Das blaue Ypsilon“ und 2002 für „Der Traumzauberbaum II: Agga Knack, die wilde Traumlaus“ mitgewirkt. Auch ihr jüngerer Bruder Josef hat an einer Produktion teilgenommen und 2007 für „Kiki Sonne“ gesprochen. Dadurch standen auch Jakob und Anne weiterhin im lockeren Kontakt zu Reinhardt Lakomy und Monika Ehrhardt. Manchmal hat Jakob zu Lesungen von der Autorin gespielt. Durch die wohnliche Nähe hatte sich außerdem eine Weihnachtstradition ergeben: Dreimal haben die drei Geschwister dem Ehepaar bis zum Jahr vor Lakomys Tod im März 2013 alljährlich einen Weihnachtsbesuch abgestattet.
Was nun bleibt, ist die Erinnerung an eine Familienfreundschaft. Auch die Mutter der Geschwister und sogar ihre Großmutter der Geschwister haben sie manchmal zum Studio begleitet. Jakob verrät, dass sich zudem bis heute eine gern erzählte Anekdote in der Familie Lehmann hält: „Mein Vater hat an einem Weihnachtsfeiertag immer in Dresden mit dem Trompeter Ludwig Güttler gespielt und theoretisch auch jetzt noch. Laky war davon ein Fan, wollte gern mitkommen und hat meinem Vater angeboten, ihn zu diesem Konzert zu fahren. Mein Vater hat sich noch nie so auf der Autobahn gefürchtet, weil Lakomy ein sehr temperamentvoller Mensch war und auch so Auto gefahren ist.“
Dank der in Zusammenarbeit mit Monika Ehrhardt entstandenen Tonträger mit ihren Geschichtenliedern aus dem Traumzauberbaum-Kosmos wird er auch vielen anderen Menschen in guter Erinnerung bleiben. Anne sagt berechtigterweise: „Das ist schon eine Ära, die da zu Ende gegangen ist. Ich finde, dass es nicht viel Vergleichbares an phantasievollen, klug geschriebenen Geschichten mit einer gewissen Gesellschaftskritik gibt. Eine gute Geschichte für Kinder macht aus, dass sie für Erwachsene genauso funktioniert – wenn auch auf einer anderen Ebene.“ Das sieht Jakob ähnlich.
Und so sende ich alljährlich im Geiste Grüße an den Himmlischen, der hoffentlich endlich in Ruhe im Himmel mit einem Gläschen roter Komponierbrause in der Hand Lieder schreibt, den Sternen beim Funkeln zusieht und munter Geschichten weitererzählt und -singt.