Von hohen Gipfeln und tiefen Tälern: Gratwanderung durch Nordkorea

Wann wart ihr zum letzten Mal in einer Ausstellung, die so richtig packend war? So, dass ihr nur widerstrebend und auch erst, als der Gong zur abendlichen Schließung ertönte, gegangen seid? (Titelbild:  © Katharina Schelling / Alpines Museum der Schweiz)

Bei mir war das zuletzt bei der Sonderausstellung im Hygiene-Museum „Let’s talk about Mountains“ der Fall. Die Ausstellung trägt den Untertitel „Filmische Ansichten von Nordkorea“ und basiert auf Video-Aufnahmen eines Kuratoren- und Filmteams des Alpinen Museums der Schweiz. 2018 sind sie nach Nordkorea gereist, um mit der nordkoreanischen Bevölkerung über ihren Alltag ins Gespräch zu kommen. Nach drei Stunden Entdeckungsreise durch das ostasiatische Land hätte ich noch unzähligen weiteren Interviews mit Menschen Nordkoreas lauschen können.

Und warum sind die Berge Koreas so spannend?
Zunächst sind die Landschaftsaufnahmen atemberaubend. Ich persönlich habe mir bisher eher selten überlegt, wie Nordkorea geografisch genau aussieht, sondern bin meist bei den politischen Aspekten hängen geblieben.

Damit wären wir auch schon beim nächsten Stichwort: Berge eignen sich hervorragend als Ausgangspunkt für Gespräche über das gesellschaftliche System, ohne allzu explizit danach fragen zu müssen. Vor allem in Nordkorea sind die Berge dermaßen ideologisch besetzt, dass scheinbar simple Fragen recht schnell komplex werden. Insbesondere der Gipfel des Paektusan hat als Schauplatz des Unabhängigkeitskampfes gegen Japan und Geburtsort von Kim Jong Il eine zentrale Bedeutung.

Bushaltestelle in der Hauptstadt Pjöngjang: Wo bei uns Werbeplakate hängen, gibt es in Nordkorea Bilder vom Paektusan. © Katharina Schelling / Alpines Museum der Schweiz.

Das Verhältnis von Gipfeln und Tälern
Oft liegt der Fokus auf den Vorzeige-Seiten, den gesellschaftlichen Gipfeln des Landes: Fröhliches Tanzen im Park, ein Winterresort mit Skilift und Luxushotels für internationale Gäste, ausgelassenes Treiben zum Sonnenaufgang auf dem Paektusan.

Eine große Stärke der Ausstellung ist, dass die Interviews nicht großartig kommentiert werden. Die Dialoge stehen für sich. Als Besucher gleicht man sein bisheriges Wissen über nordkoreanische Arbeitslager, das Spitzelsystem und die brutalen Strafen mit den Video-Inhalten ab. Dadurch erahnt man trotz all der Gipfel, auf welch schmalen Graten die Menschen beim Gespräch über ihr Land balancieren. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das, als ein Mädchen im Kunstunterricht ihr Bild sichtlich nervös erläutert.

Ehre und Schwindelpartie zugleich: Eine Schülerin spricht im Kunstunterricht über ihr Aquarell.
© Katharina-Schelling / Alpines Museum der Schweiz.

Mitunter blickt man sogar in die Täler Nordkoreas, etwa, wenn man von der humanitären Hilfe der Schweizer DEZA im Kampf gegen Hungersnöte erfährt.

An anderen Stellen wird man wiederum erinnert, wie gleich wir Menschen letztlich doch sind: Die perfekte Positionierung fürs Gruppenfoto scheint international beispielsweise ziemlich universell zu sein. Oder auch die Verlegenheit, wenn man zu zweit interviewt wird und sich abstimmen muss, wer die Frage zuerst beantwortet.

Kletter-Pioniere zu Besuch im sozialistischen Bruderstaat
Unter dem Titel „Sächsische Berge“ stellt die Ausstellung auch einen interessanten Lokalbezug: im Jahr 1984 stattete Kim Il-sung Dresden und der Sächsischen Schweiz einen Besuch ab. Dazu rückte die DDR-Führung die Felsen ins rechte Licht, indem sie Bergsteiger:innen für diesen Anlass zum Klettern beauftragte. Das nordkoreanische Staatsoberhaupt hatte diese Sportart vorher noch nie gesehen und war entsprechend beeindruckt. Daraufhin erhielten die Kletternden eine Einladung nach Nordkorea, der sie im Folgejahr auch nachkamen. Im Jahr 1989 reiste eine weitere DDR-Kletter-Delegation in den ostasiatischen Staat. Als die Teilnehmenden wieder zurückkehrten, wurden sie vom Wendegeschehen in ihrem Heimatland überrascht. Ihre Erzählungen sind eine Mischung aus Euphorie über die Erstbesteigungen nordkoreanischer Gipfel und einem gewissen Befremden angesichts des politischen Systems.

Mannschaftsfoto der DWBO-Delegation im nordkoreanischen Kumgangsan-Gebirge, Oktober 1985, v. l. n. r.: Joachim Schindler, Dirk Völkel, Georg Arnold, Bernd Zimmermann, Dietmar Heinicke, Gerd Schöne, Siegfried Anders  (Delegationsleiter), Bernd Arnold

Berge an Fragen
Insgesamt bietet die Ausstellung einen hervorragenden Anlass, uns zu unseren Vorstellungen zu Nordkorea befragen. Welche Annahmen werden bestätigt, welche widerlegt? Oft werden noch mehr Fragen aufgeworfen, als man vor dem Besuch der Ausstellung schon hatte. Offen bleibt zum Beispiel, welcher Anteil des gezeigten Alltags authentisch ist. Ist es in den Klassenräumen zum Beispiel immer so still? Denken die Leute wirklich, was sie in die Kamera sagen? Oder geben sie stumpf und wortwörtlich wieder, was ihnen in der Schule eingebläut wurde? Und nicht zuletzt: Wie fühlen sich die Hotelangestellten wirklich, wenn sie jeden morgen die Statue ihres „Großen Führers“ in der Hotellobby putzen?

Ich könnte nun noch mit dutzenden Fragen und Hypothesen fortsetzen, aber ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen. Besucht die Ausstellung einfach selbst, es lohnt sich!

Im „Raum der Fragen“ werden Besucher:innen eingeladen, ihre Gedanken zur Ausstellung zu teilen.
Wo würdet ihr euren Sticker platzieren?

Praktische Infos/ Termine:

  • Die Ausstellung ist noch bis zum 26. Mai 2024 zu besuchen.
  • Es gibt eine interaktive Kinderspur für Kinder ab 9 Jahren.
  • Hier geht es zum Begleitprogramm des Deutschen Hygiene-Museums zur Ausstellung, inklusive Gesprächen und Führungen.
  • Hier geht es zur YouTube-Playlist des Alpinen Museums der Schweiz, in der einige spannende Fragen zu Nordkorea und zur Ausstellung beantwortet werden.

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